Die 100 Kilometer von Biel
Dieser Bericht informiert über die Gedanken und die Sichtweise eines Läufers, während der 100 Kilometer im Rahmen der Bieler- Laufnacht.
Ich weis, es ist eine Menge Text zu lesen, doch es sind auch 100 Kilometer, über die es zu berichten gilt.
Ja, ein wenig muss man schon bekloppt sein, um sich als ein Ultra- Marathonläufer bezeichnen zu dürfen. Wer läuft schon freiwillig nur aus Spaß 100 Kilometer weit?? Wer geht freiwillig an die Grenzen der körperlichen Belastbarkeit und dies über viele Stunden?? Was ist der Reitz an dieser Sache? Was gibt es dem Menschen, sprich dem Läufer/in? Fragen über Fragen, um diese zu beantworten nehme ich nunmehr alle Leser mit auf die Reise, auf die 100 Kilometerreise rund um Biel.
Diese Sichtweise ist zwar nur von einem Läufer aus geschildert, zählt aber für die breite Messe der Ultra- Marathonläufer und Läuferinnen.
Auf die Anreise und das Herumgammeln bis zum frühen Abend möchte ich nicht mehr eingehen, der Bereicht soll schon in der heißen Fase beginnen.
Freitagabend um 21:00 Uhr am 11.06.2010, so langsam öffnen sich die Autotüren und die Heckklappen der Fahrzeuge. Die Läufer und Läuferinnen beginnen langsam mit der Betriebsamkeit und der Vorbereitung auf das große Ereignis. 5 ½ Monate harte Vorbereitung und mehrere Marathonläufe liegen hinter den Athleten, je nach Vorbereitungsplan. Das anziehen der Laufklamotten wird sehr ernst genommen, denn z. B. die kleinste Falte am Laufsocken, kann auf den 100 km verheerende Auswirkungen haben. Aus Blasen werden Blutblasen, aus einem reibenden Laufshirt werden schmerzhafte Scheuerstellen. 21:30 Uhr, die Athleten begeben sich langsam zum Startplatz, die Spannung steigt. 21:45 Uhr, der Lokalradiosender, der schon seit Stunden über dieses Event berichtet, steigert die Spannung. Die letzten 15 Minuten nutzten wir noch um ein paar Bilder vom Rolf Sigel und mir Armin Storz zu machen. 21:50 Uhr, wir begeben uns langsam in Richtung Startlinie. Bei einem 100 Kilometerlauf ist alles ein wenig gemütlicher, da der Verlust von 1 Minute am Start keine Auswirkung auf die nächsten 10 bis 12 Stunden hat. 21:55 Uhr, die Spannung steigt, der Stadionsprecher heizt die Läufer/innen an, einmal in Deutsch und einmal auf Französisch. 21:58 Uhr ich gehe in mich und der Gedankengang, WAS MACHE ICH EIGENTLICH HIER, geht mir durch den Kopf. 100 Kilometer, die ganze Nacht laufen, brutal. Gemeinsam werden die letzten 10 Sekunden abgezählt, dann erwachten alle wieder aus ihren Gedanken in die jeder versunken war. Ein lauter Böllerschuss eröffnete den 52. igsten Bieler Lauf und schickt somit ca. 1.200 Läufer und Läuferinnen in die Dunkelheit der Nacht.
Zuerst geht es ca. 5 Kilometer durch die Bieler Innenstadt, wo hunderte Menschen die Läuferhorde anfeuerte. Beim verlassen der Stadt kam die Kilometerbeschilderung 5 KM, na also, dachte ich, nur noch 95 Kilometer, war natürlich ein interner Scherz. Nun galt es über mehrere Passagen den einen und anderen Berg zu erklimmen, was zu diesem Zeitpunkt kein Problem war, da die Beine noch locker vor sich hin trapsten. Aus der Hell beleuchteten Stadt, ging es nunmehr hinaus in die Dunkelheit. Bis zum km 10 mussten wir aber noch eine Steigung von ca. 100. Höhenmeter bewältigen. Kurz nach der Ortschaft Jens, kam der zweite Verpflegungstand. Kurz den Mund ausgespült und doch gegen jeder Gewohnheit zwei, drei Schluck getrunken, warum?? Ganz einfach. Das Thermometer zeigte um 22:00 Uhr 20 Grad an, also viel zu warm. Dazu kam eine ungewöhnlich hohe Luftfeuchtigkeit, die allen zu schaffen machte. Jetzt war es wichtig zu trinken, aber nicht zu viel zu trinken. Wer nun ungezügelt trinkt bekommt Magen und Darmprobleme. Der Streckenabschnitt zwischen Jens und Kappelen ist sehr ruhig, da die Radbegleitfahrer erst ab Lyss zu den Läufer/innen hinzu stoßen dürfen. Aus der Dunkelheit heraus, wie wenn Fledermäuse auf einmal ins Licht fliegen, so muss man sich die Situation vorstellen, wenn die Rasselbande in Lyss, am Zieleinlauf der Halbmarathonis, wieder ins nichts der Dunkelheit verschwinden. Über Ammerwil, Grossaffoltern, Vorimholz geht es über den einen und anderen Verpflegungspunkt Richtung Obeeamsern, wo das Ziel der Marathonläufer/innen war. Diesen Punkt erreicht waren meine Gedanken wie in den Jahren zuvor „Es sind ja nur noch 1 ½ Marathons“
Nein andere Gedanken müssen her. Ich erwischte ein paar Regentropfen und freute mich schon auf eine willkommene Abkühlung. Es war inzwischen ca. 01:30 Uhr und die letzten 20 km waren nicht einfach, da sie immer leicht Wellig waren. Jetzt war bei allen Läufern/innen nur noch ein Gedanke im Kopf, durchhalten bis Kirchberg km 56,1. So ging es, leider ohne Regen, durch die immer noch sehr schwüle Nacht über Mülchi, Etzelkofen, Jegenstrorf Richtung Kirchberg. Nun zeigte sich schon wer mit dem Wasser maßvoll umgegangen ist. Rechts und links saßen Läufer und Läuferinnen im Gebüsch und zollten ihren Tribut. Es sollte aber noch schlimmer kommen. Ich hatte immer so ca. 1 km vor dem Verpflegungsstand einen trockenen Mund und richtig Durst, zügelte mich aber beim trinken. Eine Wanderung wie auf einem Schwebebalken, nur das wir durch die dunkle Nacht in der Schweiz unterwegs waren. Hier muss ich wieder die Gastfreundschaft entlang der Strecke hervorheben. In jeder Ortschaft wo es sich anbot, war eine Party und die Menschen feuerten die Läufer/innen die ganze Nacht lang an. An jedem Hof, wenn dieser auch einsam und alleine auf weiter Flur lag, brennte mindestens ein Licht, wenn nicht der Bauer im Liegestuhl die ganze Nacht lang sein möglichstes beitrug, dass dies für alle Gäste wieder ein unvergessliches Abendteuer wird. Kilometer 55, ein leichtes Bergabteil, unter einer Unterführung durch, rechts ab, dann sind es nur noch 1 Km bis zum angestrebten Etappenziel Kirchberg. Zeitmatte und rein in den großen Verpflegungsstand. 02:58:00 zeigte die Uhr, also 2 Minuten schneller als das letzte Jahr. Super nun nicht bummeln. Wasser, Salzige Suppe, Coca Cola, eine Ecke Orange, ein Power- Gel, noch zwei Becher Wasser über den Kopf und zwei Becher Wasser in die rechte Hand, ein Becher Cola in die linke Hand, dann geht es auch schon wieder los Richtung Hot Chi Ming Pfad. Mein Aufenthalt dauerte gerade mal ca. 2 Minuten. Nachträglich muss man noch betonen, ab dem km 35 goss ich mir Wasser über den Kopf, ich hielt die ganze Nacht den Körper feucht, um den Körper wenigstens ein bisschen abzukühlen. Im Gegensatz zum 100 km Lauf im Jahr 2009, ging es mir auf dem Streckenabschnitt 56 km bis 72 km sehr gut, ich hatte keine größeren Probleme, bis auf die normalen müden Beine, was nach 70 km auch fast normal ist. Der Hot Chi Ming Pfad hatte seinen Namen nicht zu Unrecht bekommen. Kein Mondschein kam durch das Blätterdach auf der unbefestigten Strecke. Die Stirnlampe war die einzige Lichtquelle auf dem Weg entlang des Emmendamm. Unbefestigter Weg heißt, Wurzelwerk quer zur Strecke, Waldwege ohne Schotter usw. Irgendwann kommt das km Schild 65 und sagt den Läufern/innen das der Weg bald besser wird. So bei km 68 werden die Wege besser und man kann wieder entspannter laufen. Bis dahin hat es sehr viel Kraft gekostet, den man musste Hochkonzentriert laufen den jeder Schritt fühlte sich an, wie man ins Leere tritt. Jeder Schritt musste mit Bedacht und auch ein wenig Glück gemacht werden. Ja, so ist es mal auf dem hot Chi Ming Pfad in Biel. Über den Verpflegungspunkt auf dem Kilometer 72,5 geht es immer leicht Bergauf, Richtung Bibern. Das Geläut des Kirchturms schlug 5 mal, also war es 5 Uhr in der früh. Ob ich hier die Staffel treffen werde? Nein weit gefehlt, unser Schlussläufer startete in Bibern erst um 7 Uhr und ich musste meine Laufjacke und die Stirnlampe auch noch die letzten 24 Kilometer tragen. Es folgte ein steiler Anstieg den fast jeder Läufer im schnellen gehen erklimmt. Oben angekommen ist es immer wieder eine Kunst den Beinen zu sagen, ja nun könnt ihr wieder laufen. Eigentlich wollen die gar nicht mehr, nur ein eiserner Wille setzt den ganzen Bewegungsapparat wieder in Gang. Endlich km 80 und ich wusste wie die Läufer/innen um mich herum, nur noch ca. 1,5 km dann kommt der nächste Verpflegungspunkt. Nun führte die Strecke steil Bergab Richtung Arch und man könnte meinen, Bergab, jetzt geht es einfacher!! Nein weit gefehlt, dass Bergablaufen ist nun anstrengender als das Bergauflaufen. Je näher wir uns an die 100km rantasteten, umso schwerer wurden die kleinen Gefälle. Manchmal überlegte ich mir, ob ich nicht Rückwärts den Berg hinunter laufen soll, doch es blieb bei der Überlegung, denn irgendwie schafft es die Psyche immer wieder, die nächste Hürde zu nehmen. Kilometer 85, die Beine wurden immer schwerer, schwerer, schwerer. Letztes Jahr gingen doch die letzten 20 km recht gut!! Ach ja, da war es zwischen km 65 und 75 schwer, schon vergessen? Einfach weiterlaufen. Schritt für Schritt, ein Bein vor das andere und immer wieder wiederholen, schwub wieder ein Läufer an mir vorbei, ach so es war nur ein Staffelläufer. Jetzt folgte ein langes flaches Stück immer an der Aare entlang bis zum Kilometer 91, man könnte schon glauben es hört überhaupt nicht auf, obwohl man die Strecke kennt. Von km 91 bis ca. km 92 ein weiterer Anstieg, normal ist dieser Anstieg kein Hindernis, aber nun bei km 91. Noch ein kurzes Stück, Mist wieder Bergab, bis zum vorletzten Verpflegungspunkt. Kilometer 92,5 ist erreicht, nun noch mal richtig Erfrischen, Gel, Cola usw. und viel Wasser über den Kopf, den die Temperaturen steigen wieder sehr schnell an.
Jetzt ist es wichtig wieder anzulaufen und dann möglichst nicht mehr anzuhalten. Die letzten 5 Kilometer sind wieder einzeln ausgezeichnet. Man soll es nicht glauben, aber jetzt ist jeder Kilometer so lang wie normal 3 Kilometer. Doch jetzt gibt es kein halten mehr, bei km 95 ein kurzer Blick auf die Uhr und siehe da, wenn ich nicht mehr bummle, sprich noch ein drauflege, dann könnte es zur neuen Bestzeit reichen. Mit einem guten 5:00 bis 5:15 min/km bin ich dem Ziel entgegengelaufen. Wie immer stand der Körper unter seinen eigen produzierten Drogen, denn es lief sich als ob ich erst losgelaufen wäre. Wo waren die Schmerzen? Die Gehstängel liefen einfach so vor sich hin, als ob der Lauf noch mal 50 km lang wäre. Das ist vielleicht der Antrieb eines Ultramarathonläufers, man sucht immer wieder nach der Grenze, nach der absoluten Grenze des Machbaren und läuft sich dabei in einen Rausch, ein Gefühl das man nicht erklären kann, einfach überwältigend. Mit diesen Worten möchte ich den Bericht über die 100 km von Biel schließen und hoffe, dass ich vielen Läufern/innen aus der Seele geschrieben habe. Diese Gefühle, diese Schmerzen und alles andere drum und dran um die Nacht der Nächte in Biel, hat jeder der an den Start geht und nach 100 km wieder in Biel ankommt. Es ist immer wieder ein unsagbares Ereignis.
Endzeit 09:28:25 Stunden
Nächster Ultra- Marathon drei Wochen später am 02/03.07.2010, die 100 km von Ulm, die Ulmer- Laufnacht.
Gruß Armin